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Geburt und Tod, rießige Diebe und ein winziger Neuzugang Ostern 2015 in Little SmileEndlich einmal bis 6 Uhr ausschlafen stellt man(n) sich anders vor! Ein gemütlicher Ostermorgen sollte es für mich werden, wachkitzeln lassen von den ersten Sonnestrahlen. Stattdessen läutet meine Nottelefonnummer Sturm. Es ist dunkel, stockdunkel, nur zwei Tage nach Vollmond, also muss es so gegen 4 Uhr sein. Bawani, die Betreuerin aus dem Bubenheim Hill Top ist dran: Ein Elefant hat die massive Holztüre zum Vorratshaus eingetreten. Dort lagern die Vorräte für den ganzen Monat.
Wenig später ein Bild der Verwüstung. Ein breiter weißer Mehlstreifen verrät den Rückzugsweg des rießigen Diebes. 100 kg Reis, 50 kg Mehl, Früchte, Gewürze. Was nicht im Magen des oder wie ich vermute der Elefanten gelandet ist, liegt verstreut, zertrampelt, unbrauchbar in einem Radius von gut 50 Metern verteilt. Bawani ist verwirrt und ratlos! So oft kamen die Elefanten vorbei, immer mal wieder haben sie im Garten Pflanzen gefressen, ja ganze Bäume gefällt, aber noch nie sind sie mit solcher Brachialgewalt ins Haus eingedrungen. Ich beruhige sie, wünsche ihr und den 24 Jungs „Frohe Ostern“ obwohl mir das etwas deplaziert erscheint, verspreche später noch mal zu kommen und rate, das Vorratshaus komplett leer zu räumen, jetzt wo die Elefanten auf dem Geschmack gekommen sind und den Weg kennen.
Am schmalen Bergweg 5 km runter ins Kinderdorf werde ich von weheklagenden Frauen angehalten. Der Sohn, Ehemann, Vater ist gestern gestorben, die Familie ist heimatlos, noch heute muss der Tote unter die Erde. Drei Generationen heulendes, weibliches Elend. Ich spreche mit einem Hausbesitzer, organisiere am frühen Ostermorgen ein Zelt, den Sarg, all das, was man für eine gute, tamilische Beerdigung braucht – und das ist nicht wenig. Man kennt mich, ich bin kreditwürdig. Diese unerwartete Verdienstmöglichkeit, genau eine Woche vor dem singhalesischen Neujahr, ist so willkommen, dass ich mir keine Sorgen machen brauche. Trotzdem rufe ich einen meiner zuverlässigsten Arbeiter an, Shanta, der ganz in der Nähe wohnt. Er ist mir gegenüber nun verantwortlich, dass der arme Tote ordnungsgemäß und würdig unter die Erde kommt.
Zurück im Kinderdorf muss ich mich waschen, denn wer mit Toten in Berührung kommt, gilt hier als unrein. So kann ich nicht zu unserer Osterandacht in die Dschungelkapelle. Schaffe es gerade noch so. Große Kinderaugen erwarten mich. Ostern ist ein wichtiger Festtag für mich als Christen, also wird es sicher irgendwas Besonderes geben. Gibt es auch! Bis tief in die Nacht hat Anusha mit einigen ihrer Moonlight Haus-Girls an der Dekoration gebastelt, Sand durch die mondhelle Nacht geschleppt, Osterhausen gebastelt, aber auch Hühner, einge ganze Osterlandschaft ist entstanden. Am Abend hat Anka mit einigen Mädls aus dem Sunshine-Haus Eier gekocht, gefärbt und Sticker geklebt, 5 kg Eis haben die vielen Stromausfälle der letzten Wochen irgendwie überstanden.
Hiobsbotschaft vom Tor, da wo unsere Wassertanks sind. Die seien völlig leer, unsere Wasserleitung, die von einem kleinen Bach über mehr als 500 Meter das so wichtige Nass zu uns bringt, wurde gestern am Nachmittag bei einem Wolkenbruch verstopft. Unser Wächter hat vergessen, rechtzeitig die Zuleitung abzusperren, also verschweigt er das Maleur, heute am Sonntag hat er keinen Dienst. Er entkommt so dem Tadel und wir sitzen auf dem Trockenen, eine kleine Katastrophe mit 99 jungen Damen. Also geht es für mich ins Unterholz, auf steile und rutschige Berghänge, ein Ostermahl für die zahllosen Blutekel. Zwei Stunden und 11 blutige Bisse dieser wurmähnlichen Kreaturen später, nachdem ich an drei Stellen das Rohr aufgesägt, gesäubert und wieder verklebt habe, fliest das Wasser und an meinen Füßen und Beinen das Blut. Letzteres zu stillen ist gar nicht so einfach, mit heisser Asche geht es ganz gut wenngleich Narben bleiben. Die Schönheit meier Beine spielt freilich eine recht untergeordnete Rolle, die Kinder warten vor dem Moonlight-Haus, also Asche drauf, umziehen und runter zu unserem Ostereierfest.
Einen kleinen Umweg lege ich jedoch noch ein, auf Bitte von Anusha, die seit ein paar Wochen auch für unsere Hühner verantwortlich ist. „I have a baby“, verkündet sie mir stolz und dieses nun nicht sofort in Augenschein zu nehmen, wage ich nicht. Nicht nur, aber besonders junge tamilische Damen sind sehr schnell verletzt und sehr nachtragend. Im Hühnerstall präsentiert sie mir stolz „ihr Baby“. Als wir dann zusammen durch den Vanillegarten zum Moonlight-Haus gehen, fragt sie: „Lokuthaththa, can I have some milk for my baby?“ Endlich darf ich an diesem Ostertag 2015 lächeln.
Am Nachmittag bei der Beerdigung ist Lächeln dagegen nicht angebracht. Frauen heulen und kreischen um die Wette, einige, weil sie dafür bezahlt werden, andere, weil das von ihnen erwartet wird, aber Mutter, Frau und Tochter sowie der nur etwa 11jährige Sohn aus Angst vor der nun noch unsichereren Zukunft. Es ist eine kleine Beerdigung, die Leute sind arm, da wird es keinen Festschmaus geben, keinen Schnaps für die Männer. Also sind nur wenige gekommen. Shanta freilich hat dafür gesorgt, dass sich der Verstorbene ganz bestimmt nicht beschweren würde, wenn er das noch könnte. Ich schaue auf seinen kleinen, von Armut und Alkohol geschundenen Körper. Erst als Toter bekommt er, was ihm wohl sein ganzes Leben verwehrt geblieben ist: Respekt, dank einer würdigen Beerdigung.
Es ist 15 Uhr, nach dem gemeinsamen Mittagessen im Kinderdorf werde ich etwas von unserem Ostermahl hochfahren zu den Jungs und Bawani, danach muss ich noch in die Farm, wo Shiran und die Arbeiter warten, der Ostersonntag ist noch längst nicht vorbei, mal sehen, welche Überraschungen dieser 5. April 2015 noch bereit hält.
Vier Stunden später, am Rückweg von der Farm ins Kinderdorf Mahagedara bekomme ich einen Anruf von Nalim, einem jungen Mann, der im Büro arbeitet. Gerade ist er zum ersten Mal Vater geworden, Mutter und Babysohn sind wohlauf. Tod und Leben, Trauer und Freude, Zerstörung und Zuversicht: Frohe Ostern 2015 aus Little Smile im Bergurwald Sri Lankas. |