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Hoffen und Bangen

11 Wochen nach der Verhaftung von Michael Kreitmeir
Die Zeit heilt Wunden, sagt man. Sind meine Wunden, die mir die Verhaftung am 17. August und die Zeit im Gefängnis in Monaragala geschlagen haben, inzwischen verheilt? Sich ausgeliefert fühlen, abhängig von einem „Rechtssystem“, das man weder verstehen noch nachvollziehen kann, so etwas zieht einem den Boden unter den Füßen weg auf dem man stehen muss, gerade wenn man so viel Verantwortung trägt wie ich.
Wenn ich heute, mit etwas Abstand, so über diese Ereignisse nachdenke und ihre Folgen für mich und für Little Smile, dann ist es genau dieses Gefühl sich nicht wehren zu können gegen all diese abstrusen Anschuldigen, das demoralisiert. Wer sich als Ausländer, als Weißer sozial engagiert scheint bereits verdächtig zu sein, die jahrelange negative Propaganda gegen Nicht-Regierungs-Organisationen „trägt Früchte“.
Die Verhaftung, ein Vorgang voller Widersprüche war in vielen Details auch in Sri Lanka rechtswidrig. Ein Sonderkommando des Militärs, gegen das sich hier Niemand wirklich wehren kann, weil die „Special Task Force“ sich ganz offensichtlich nicht um Gesetze kümmern braucht, das bewaffnete Eindringen ins Kinderdorf, die Bedrohung der Betreuerin dort, die Angst der Kinder, das Wühlen in meinen Dingen und auch hier das Unterschieben von Verbotenem, diesmal kleinen antiken Figuren …
Normalerweise verschwindet man hier bis zur Klärung der Anklage, meist sind das 6 Monate, hinter Gittern. Dass mir das erspart geblieben ist, das verdanke ich sicher auch dem Engagement in der alten Heimat. Ich habe hier vor Gericht immer den Eindruck, man muss seine Unschuld beweisen, nicht der Ankläger deine Schuld. Dass ich nachweislich sehr viel für dieses Land getan habe spricht nicht für mich, macht mich eher verdächtig.
Jeder hier weiß, wer hinter der Sache steckt, aber das scheint das Gericht nicht im Geringsten zu interessieren. Bisher steht ja nicht einmal fest, ob die Substanz, die von dem zweiten Offizier der Spezialeinheit in unserem Auto deponiert wurde um sie dann finden zu können, wirklich aus Drogen besteht und wenn ja aus welchen?
Es ist gespenstisch ruhig, nachdem die anonymen Drohungen gegen meine Mitarbeiter keinen Sinn mehr machen, weil diejenigen, die einzuschüchtern waren, bereits weggelaufen sind. Wenn heute in der Nacht ein Auto vor unserem Tor hält, befürchte ich nicht mehr das Schlimmste, man lernt zwangsläufig das Unabänderliche nicht mehr in seine Überlegungen und Gefühle mit einzubeziehen. Es bleibt mir auch gar nichts anderes übrig! Ich brauche all meine Kraft um die fehlenden Mitarbeiter irgendwie zu kompensieren, die Projekte hier am Laufen zu halten und Zeit und Energie zu haben für die Kinder. Besonders die Älteren, die mitbekommen haben, dass ihr „Lokuthatha“ nicht unverwundbar ist, haben Angst um ihre Zukunft. Hier gilt es Vertrauen aufzubauen, Sicherheit und Zuversicht auszustrahlen.
Woher aber soll ich meine Zuversicht nehmen? Die Tatsache, dass ich einfach so verhaftet, unter einem fadenscheinigen Vorwand sogar im Gefängnis verschwinden, dass Bewaffnete ins Kinderdorf eindringen konnten, dass Vorwürfe und Anklagen beliebig konstruiert werden, all das ist nicht geeignet Vertrauen wieder herzustellen.
In den Zeitungen hier stand, mit Name und Bild, dass ich mit drei jungen Frauen und 1,8 kg Drogen erwischt wurde, ich einer von den ganz bösen Weißen bin. Auf spätere Beschwerden hat man sich mit Druckfehlern rausgeredet. Es sei ein bedauerliches Vertippen, das aus 1,8 g vermutlicher Drogen schnell mal das Tausendfache an Heroin gemacht hat. Für den Rufmord an Bawani, der Chefbetreuerin des Bubenheims und Mutter von Divia, die wir aus dem Internat bei Klosterschwestern an der Ostküste in den Ferien heimgebracht haben sowie deren gerade einmal 14jährigen Freundin, hatten die Verantwortlichen nicht ein mal eine Entschuldigung parat. Dass aber ausgerechnet Menschen, denen Little Smile seit Jahren hilft, sich dann besonders empört, ja aggressiv, verhalten haben, so etwas enttäuscht, ja tut richtig weh.

Ohne den Zuspruch aus der alten Heimat wäre es schwierig geworden mit der Selbstmotivation. Und darum war es so wichtig, erleben zu dürfen, dass ich, dass wir hier nicht alleine sind, dass es Menschen gibt, denen daran liegt, dass dieses „Kleine Lächeln“ für Kinder in Not hier in Sri Lanka auch Morgen eine Chance hat.
Gerade auch die Menschen, die sich seit langer Zeit für Little Smile in Deutschland engagieren und die voller Sorge auf das geschaut haben, was hier passiert ist und passiert, haben viel Zuspruch erfahren. Mein Vater, meine Frau, immer wurden sie angesprochen: „Ihr seid nicht allein!“ Vor allem dafür ein Herzliches Dankeschön.
Mehr als 2 Jahrzehnte habe ich mich als Journalist dem verpflichtet gefühlt, was ich nach gründlicher Recherche herausgefunden habe. Trotzdem habe ich das Wohl von Menschen, über die ich berichtet habe, immer höher bewertet als den journalistischen Erfolg. Gerade darum war es so wichtig nach dem, was ich mit den Medien hier erlebte, eine faire, ja verantwortungsbewusste Presse in Deutschland zu erleben. Ganz besonders der Donaukurier mit seiner regelmäßigen Berichterstattung hat gezeigt, dass es manchmal um mehr gehen kann als nur die Verbreitung von „hot news“. Danke auch dafür!

Am Freitag den 29. Oktober stehe ich in Monaragala wieder vor Gericht stehen, am 25. November vor dem Gericht in Bandarawella. Ich werde Zahnbürste, Handtuch und die wenigen Dinge einpacken, die man ins Gefängnis mitnehmen kann und muss. Ich habe gelernt, hier mit ALLEM zu rechnen.
Wie kann es mit den Projekten von Little Smile hier ohne mich weitergehen? Was kann ich heute hier und jetzt tun, um den Prozess des Selbständigwerdens zu beschleunigen? Wer kann in welche Verantwortung hineinwachsen, für welche Projekte können wir Partnerorganisationen finden oder sie ganz abgeben? Bei all diesen richtigen und wichtigen Überlegungen erlebe ich jedoch jeden Tag, wie notwendig gerade in den Zeiten des Umbruchs eine zentrale Figur ist, einer der nicht nur die Richtung, den Weg vorgibt sondern der da ist, für die Sorgen und Probleme, für die 1001 Fragen, die jeder Tag bringt, der keine Angst hat um die eigene Zukunft und Sicherheit sondern der für und mit Little Smile lebt.
Ich habe tatsächlich keine Angst um mich, denn egal was passiert, egal was Andere sagen oder was hier in den Zeitungen hier steht oder im Fernsehen verkündet wird, ich weiß, dass ich das Richtige getan habe und tue.
Freilich hat diese Zeit der Unsicherheit auch an mir genagt, mir zugesetzt. Plötzlich sehe ich mich und das was ich hier tue, für was ich hier stehe, also Little Smile, von Mechanismen bedroht, die ich kaum beeinflussen kann. Andere entscheiden ob und wenn ja wie es weitergehen darf, ob ich die Zeit bekomme, die Kinderhilfsorganisation auf die Zeit nach mir vorzubereiten, oder nicht. Für einen Menschen, der gewohnt ist, selbst für sich und sein Leben Verantwortung zu tragen, ist das schwer.
Oft habe ich mich gefragt: war es das wert? Hätte ich nicht dem Erpressungsversuch des tamilischen Ministers nachgeben sollen, mir und Little Smile Ruhe erkaufen sollen? War es nicht naiv zu glauben, man könne Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit unbehelligt leben? War ich mit meiner Arbeit nicht zu erfolgreich, um in Ruhe gelassen zu werden? Immer wollte ich die sozialen Projekte auch auf ein gesundes finanzielles Fundament stellen, niemals sollte beispielsweise das Kinderdorf vom Betteln abhängig sein. Und dann war es gerade die finanzielle Stärke, die zur Schwäche werden sollte weil sie Neid und Begehrlichkeiten erregte. Ist es also letztlich meine Schuld, dass alles so gekommen ist, wie es gekommen ist?
Gottlob bleibt kaum Zeit für solche Zweifel, es gibt ganz einfach viel zu viel zu tun.
In unserer Region beginnt die Regenzeit und wie immer beim Wechsel des Wetters sind viele Kinder krank. Die fehlenden Betreuerinnen und Mitarbeiter müssen irgendwie d.h. mit noch mehr eigenem Einsatz, kompensiert werden, wir sind auf der Suche nach neuen Mitstreitern. Die nach meiner Verhaftung unterbrochenen Arbeiten am Bau der Internationalen Schule in Kalmunai an der Ostküste und des Friedenszentrums bei Galle an der Westküste wurden wieder aufgenommen. Der Botschafter Deutschlands Herr Jens Uwe Plötner hat uns im Kinderdorf besucht und so die Solidarität und Unterstützung meiner alten Heimat deutlich gemacht, mein Sohn Manuel hat ein Freisemester eingelegt, war seit seiner Rückkehr aus Sri Lanka ständig in Deutschland unterwegs, hat den Generalkonsul und Botschafter Sri Lankas in Deutschland getroffen und auf vielen Veranstaltungen für Little Smile geworben. Die Mächtigen Sri Lankas haben ihre Bereitschaft signalisiert, für eine faire Behandlung des „Falls Kreitmeir“ zu sorgen, es gibt also Hoffnung. Eigentlich gibt es ja immer Hoffnung so lange Menschen daran glauben, dass man etwas an dem, was unsere Welt und die Zukunft unserer Kinder zerstört, ändern kann, so lange Menschen zusammenstehen und etwas tun.

Ergebnis der „Anhörung“ am 29. Oktober im Magistratsgericht in Monaragala:
Nach einer Wartezeit von 3 Stunden wurde nach wenigen Sekunden der Fall auf den 25. Februar 2011 vertagt. Kreitmeir wurde weder gehört noch lag das Untersuchungsergebnis vor, ob es sich bei der „gefundenen“ Substanz wirklich um Drogen handelt.