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Little Smile – eine Standortbestimmung nach 11 Jahren

Ist es ein Zufall, dass ich hier und sie dort sitzen in Welten, die so unterschiedlich – oder ist es Bestimmung, Karma würde man hier sagen? In jedem Fall lebe und arbeite ich in einem Land, das offiziell einen Seelenverwandten als Leitfigur gewählt hat: Siddharta, den vom Leben verwöhnten in besten Verhältnissen lebende Königssohn, der sich zu Buddha wandelt auf der Suche nach ein Antwort auf die Kernfrage des Lebens: Wie kann ich glücklich sein, wen ich weiß, dass sich diese meine Existenz jeden Moment auf Alter, Krankheit und Tod hinbewegt? Sri Lanka ist eines der wenigen Länder, das offiziell den Buddhismus als eine Art Staatsreligion propagiert. Den Lehren des Buddha zu folgen ist jedoch schwer, sehr schwer: da gibt es keinen Erlösergott, keine Fürbitter im Himmel, nur den Weg des Loslassens von Ängsten und Begierden.
Zum ersten Mal begegnet bin ich Siddharta im gleichnamigen Roman von Herrmann Hesse, da war ich 14 Jahre jung. Wenig später starb eine Schulfreundin Gisela Hausmann an Krebs, nicht einmal 15 ist sie geworden. Immer und immer wieder bin ich an ihr Grab gegangen, immer und immer wieder habe ich nach dem WARUM gefragt. Warum müssen manche Menschen so früh sterben, warum werden andere uralt? Warum muss man überhaupt sterben und was soll das Leben, wenn es im günstigsten Fall ins langsame und meist schmerzhafte Erlischen im Greisenalter führt? Oder ist das der ungünstigste Fall und man lebt besser nach der Devise: Lebe heftig und stirb jung?

Als 16jähriger habe ich mich ernsthaft auf die Suche gemacht etwas über den Sinn des Lebens zu erfahren. Die Schule war mir da keine Hilfe gewesen, schon sehr viel mehr meine Eltern. Ich wollte aber mehr wissen, Hermann Hesses „Steppenwolf“ hatte die Unruhe in meinem Herzen noch vermehrt.
Wen aber konnte ich fragen über das Leben? Am Besten doch die, die es zum überwiegenden Teil bereits gelebt haben und so ging ich ins Altenheim Sankt Elisabeth in meiner Geburtsstadt Eichstätt, verbrachte dort, fast 2 Jahre lang, jede freie Stunde mit den Alten, ihren Gebrechen, Krankheiten, Geschichten und manchmal auch ihrer Weisheit. Ihre Erzählungen, ihr Leiden, ihr Sterben, letztlich das, was man „entleiben“ nennen könnte, nämlich Schritt für Schritt den Körper und dieses Leben loslassen, dies zu beobachten, ja mitzuleiden, das hat mich geprägt und es mir unmöglich gemacht, so zu leben, als gebe es diese Grundfrage nicht: wie gehe ich mit der eigenen Endlichkeit um?

Als neugieriger Mensch mit 1001 Fragen habe ich mich dem Journalismus zugewandt, kam schließlich zum Fernsehen und habe das, was ich gesehen und erlebt habe in Bildern und Geschichten nacherzählt. Die angeblich so wichtigen Pressekonferenzen haben mich nie interessiert, noch weniger die so genannten Mächtigen dieser Welt. Das Kleine, eher Unscheinbare, in dem fast immer das wirklich Grosse, Wichtige zu entdecken ist, dem galt meine Aufmerksamkeit und Liebe. Ich fand und behauptete meine Nische in einer mehr und mehr oberflächlichen Medienwelt. Ich traf viele Menschen, sah viele Länder und erzählte meine Geschichten einem Millionenpublikum. Das freilich, was ich als Jugendlicher durch die alten Menschen gelehrt bekommen habe, vergaß ich nie. Der Erfolg, eine Familie, es dauerte bis ich mir eingestand, dass, wenn man immer und immer wieder später sagt, es garantiert eines Tages zu spät ist. Dazu hat es offensichtlich dieses Erlebnis mit dem Kind in den Bergen Sri Lankas gebraucht, das war 1997.
(siehe unter AM ANFANG WAR EIN VERSPRECHEN)

Zwei Jahre später habe ich ernst gemacht mit meinem ganz persönlichen „Abenteuer Menschlichkeit“ und wie bei jedem Abenteuer war und ist das Ende offen. Die Bereitschaft ein Risiko einzugehen, sich auf Neues, Unbekanntes einzulassen und dafür vertraute Sicherheit, einen interessanten Beruf, geliebte Menschen zurückzulassen. .. ein Abenteuer eben!
11 Jahre sind lange, wenn wirklich jeder Tag voller unwägbarer, unplanbarer Herausforderungen steckt weil man sich auf etwas eingelassen hat, was so gar nicht NORMAL ist, Ehrlichkeit beispielsweise– zunächst und ganz besonders sich selbst gegenüber.

Vermutlich haben sie hier eine ganz andere Rede erwartet aber ich kann über Little Smile nichts sagen ohne zunächst von meinen eigenen, ganz tiefen Überzeugungen zu sprechen. Litte Smile ist nämlich meine Antwort auf die Frage nach den Sinn eines Daseins, das im Tod endet. Wer das einmal verstanden und angenommen hat, der erkennt, dass alles, wirklich alles in diesem Leben nur geborgt, geliehen ist. Plötzlich werden das Habenwollen“ und damit Gier, Neid und Verlustängste lächerlich. „Sehet die Vögel auf den Feldern…“


Freilich loslassen fällt schwer und so war es auch für mich nicht einfach und es war ein langer Prozess ALLES, Sicherheit, Beruf, Heimat, ja sogar die eigene Familie zurückzulassen, frei zu werden für das, was meine Mutter als Letztes so klar formuliert hat: Nur die Liebe bleibt. Leider aber gibt es auch Menschen, denen man Leid zufügt, weil man sie zurücklässt, aller Seelenfreundschaft zum Trotz. Und darum ist das Verstehen und Annehmen, das vorwurfsfreie Loslassen besonders durch meine Frau Elke ein großartiges Geschenk und ein unglaublicher Beitrag zu diesem Little Smile. Nie hat sie mir auch nur einen Vorwurf gemacht, im Gegenteil, sie hat aus der Ferne und doch nahe diese meine Arbeit immer unterstützt und leitet bis heute den gemeinnützigen Unterstützerverein in Deutschland.
Der 14jaehrige Marco hat seinen Vater nur selten gesehen aber er hat akzeptiert, dass die Kinder hier den Papa notwendiger brauchen und er schließlich noch die Mama, Grosseltern, einen Bruder und viel Verwandtschaft und Freunde hat.
Wenn der 24jaehrlige Manuel sich inzwischen sogar in „Little Smile“ findet, dann bleibt Liebe weil sie weitergeht, so wie ich durch mein Leben empfangene Liebe weitergeben darf und damit lebendig erhalte im Schaffen einer Art Liebesfähigkeit der Kinder, die in Little Smile aufwachsen.

Und auch wenn es stimmt, dass „der Mensch nicht vom Brot alleine lebt“, so braucht er es doch, immer und immer wieder. Darum funktioniert Idealismus auch nur, wenn er gepaart ist mit Realismus. Ohne Geld, ohne wirtschaftliche Strukturen, ohne Einbindung in das Umfeld, ohne Berücksichtigung der Machtverhältnisse und gesellschaftlichen Spielregeln wird kein Sozialprojekt über die Phase eines Almosenempfängers hinaus, existieren können. Ohne das freilich, was man Idealismus nennt, ohne eine tragende Idee, ohne Vision wird dagegen selbst das erfolgreichste Projekt nichts anderes sein als ein Unternehmen.

Warum habe ich eine eigene Hilfsorganisation gegründet, warum mich nicht in bestehenden Organisationen engagiert? Ich bin überzeugt, dass Little Smile, so wie es sich entwickelt hat, einen Platz hat, haben muss, in dieser Welt: Ein Kinderdorf mit Naturschutzgebiet und organischer Farm als Einheit, untrennbar verbunden, sich ergänzend, bereichernd.
Was für alle Sozialprojekte von Little Smile gilt, lässt sich bei dem ersten und für mich zur Heimat gewordenen Kinderdorf in Koslanda gut erklären.
Das Gelände ist groß, es gibt Reisfelder, Pfefferplantagen und einen Heilkräutergarten, Ausbildungszentren und Schule. Um aber die völlig wirtschaftliche Unabhängigkeit erreichen zu können hat das Kinderdorf mit der organischen Farm im 7 Kilometer entfernten Dikkapitia einen wirtschaftlichen Partner. Hier werden, Fair Trade zertifiziert Gewürze angebaut, ohne Einsatz von Gift oder Chemie. Arbeit finden hier besonders verlassene oder verwitwete Frauen. 10 Jahre hat die Farm Zeit für ihre wirtschaftliche Entwicklung, danach muss sie in der Lage sein, den Grundbedarf an Lebensmitteln und Gütern des Kinderdorfes zu decken.
Drei Jahre sind vorüber und wir sind auf einem guten Weg, auch Dank der Firma AVO aus Belm. Einer der Geschäftsführer, Guido Massmann, hat uns in Little Smile besucht, seitdem ist AVO, bzw. Seyfried für uns ein verlässlicher Partner mit Verständnis für so manche Anlaufschwierigkeiten.
Und dann ist da noch das Naturschutzgebiet „Little Smile for Nature“ gleich neben dem Kinderdorf. Mehr als 100 Hektar für Pflanzen und Tiere und das in einem Land, das seine Natur zwar touristisch vermarktet, über den Schutz aber erst anfängt, nachzudenken. Bis diesem Denken Taten folgen, könnte es zu spät sein bei dem Tempo der Brandrodungen, der Zersiedelung und Ausbeutung.
Zukunft für Kinder, eine lebenswerte Zukunft für Kinder ist für mich, der ich selbst auf dem Land aufgewachsen bin, nur möglich in einer intakten Umwelt. Auch wenn das regelmäßige Scheitern der großen Konferenzen wie dem Welt-Klimagipfel, nachdenklich stimmen, Jammern und Kritisieren helfen nicht weiter. Viel besser ist es einfach selber was zu tun.


Das „kleine Lächeln“ von Kindern, der Natur und gesunde und faire Landwirtschaft, für das habe ich 11 lange Jahre Tag für Tag alles getan, was ich kann. Wer Erfolg hat, in Gebäuden und Infrastruktur sichtbar, der wird auch Neider haben, zerstörerische Gier heraufbeschwören. Muss man deshalb klein und erfolglos bleiben, weiterhin abhängig von Almosen? Ich sage Nein! Und selbst als ich für meinen Einsatz für die Schwächsten in diesem Land und für die Natur vor genau 2 Monaten im Gefängnis landete, hatte ich keinen Moment Zweifel daran, dass richtig und wichtig ist, was ich hier getan habe und was Menschen, besonders in Deutschland, mittragen.
Die Kinder von Little Smile haben mir Briefe ins Gefängnis geschickt durch meinen Sohn Manuel, der diese schwere Zeit hier mit uns geteilt hat, Briefe voller Hoffnung und Sehnsucht, dass dieses ihr Little Smile auch diese dunklen Tage überstehen möge.
Mein Pass ist eingezogen, ich warte auf zwei Prozesse gegen mich, wie auch immer das für mich jedoch ausgehen wird: der Gedanke von Little Smile wird weiterleben, in den Herzen der Kinder, in vielen Menschen hier in Sri Lanka und in meiner alten Heimat Deutschland und jetzt vielleicht auch bisschen in ihrem Herzen.

Vor einigen Monaten habe ich eine alte deutsche Tageszeitung gefunden, darin geblättert ein Zitat von Vaclav Havel gefunden, dass sehr gut in meine derzeitige Situation passt: ”Hoffnung ist nicht Optimismus, ist nicht Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat – ohne Rücksicht darauf, wie es ausgeht.“


Lassen Sie mich noch an einen ganz besonderen Menschen in meinem Leben erinnern, einen Menschen, der mir zeigte, dass Liebe möglich ist und was Liebe, wirkliche Liebe bedeutet:
Am Abend des 4. Oktober 2007 halte ich die Hand einer Sterbenden, die sich bereits auf den Weg gemacht hat. Ein letztes Mal blickt sie zurück, sie die große Kämpferin, die 12 Kinder großgezogen hat, die immer arbeiten und sparen musste: „ Nur die Liebe bleibt.“ Das war und ist das Vermächtnis meiner Mutter und diese Liebe lebt in jedem der Kinder, in allem was ich aus Liebe tue.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit und herzliche Grüsse aus dem nächtlichen Kinderdorf Little Smile im Bergurwald Sri Lankas, wo gerade mehr als 100 Kinder und Betreuerinnen ohne Angst schlafen, weil ich mich traue, Menschlichkeit zu leben.