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„Ihr Kinderlein kommet!“

Der „Heilige Abend“ im Kinderdorf in den Bergen Sri Lankas

Der 24. Dezember! Was für ein besonderes, ja fast magisches Datum. Wie haben wir als Kinder auf diesen Tag hingefiebert, haben Adventskalendertürchen gezählt, Wunschzettel geschrieben und dann gewartet. Mittags gab es nur eine Kleinigkeit zu essen, kann mich gut an die gar nicht geliebte Brotsuppe erinnern. All das steigerte die Vorfreude auf das Fest. Kindermette mit dem Vater während Mutter daheim kochte und werkelte. Der Christbaum, die Geschenke, Truhen voller Geschenkpapier, das meine Mutter so lange als irgend möglich wieder verwendete. Dann endlich, der Nudelsalat, das Singen und Musizieren der Kinder und die Geschenke, angefangen immer vom jüngsten Kind das alle anderen Geschwister beschenkte. Das dauerte denn also ich beispielsweise 12 Jahre alt war da sangen, musizierten und beschenkten sich gegenseitig 7 Geschwister, während die Jüngste noch in der Wiege lag. Und dann ging es ins Wohnzimmer wo Christbaum, Krippe und die Geschenke der Eltern warteten. So ist der 24.12. in meine Erinnerung eingebrannt als ein Fest, wo Jeder dem Anderen eine Freude bereiten wollte, wo es nie um große Geschenke ging sondern um sehr viel Nähe, Gefühl und Liebe.
Viele Jahre später im Bergurwald in Sri Lanka. Bis genau 16 Uhr ist es ein ganz normaler Arbeitstag, weil wir mit vielen Dingen nicht fertig geworden sind. Bei 41 Arbeitern, Maurern, Zimmerleuten und Helfern kann eine Menge schief gehen, also bin ich ganz schön beschäftigt. Zudem haben wir jetzt in Sri Lanka auch unsere Bankenkrise und ausgerechnet unsere Hauptbank, also die Bank, bei der fast all unser Geld liegt, scheint in ernsthaften Problemen zu stecken. Ganz offensichtlich hat sich der oberste Manager mit einem unvorstellbaren Betrag aus dem Staub gemacht. Da kommt schwer weihnachtliches Gefühl auf. Ein trauriger Abschluss eines eh schon superschwierigen Jahres.
Trotzdem, das Leben muss weitergehen und die Kinder freuen sich sehr auf Weihnachten. Also üben sie in Gruppen und dekorieren unten in der Schule die Bühne.

Um 17 Uhr beginnt das Weihnachtsprogramm in der Aula unseres neuen Schulgebäudes, also schnell runter zum Bach um mich zu waschen. Wir haben seit einem Sturm vor drei Tagen keinen Strom und da die Pumpe nicht funktioniert müssen wir unsere Wasservorräte genau einteilen. Also wird unten am Bach gebadet. Ich muss lächeln, wie ich da auf einem Bein am Ufer stehe, mir die Blutekel von den Beinen zupfe und versuche mein Festtagsgewand anzuziehen ohne umzufallen. Es hat immer noch mehr als 30 Grad, schwer vorstellbar aber doch wahr: heute ist Heiliger Abend.

Kinder, Betreuerinnen und Angestellte, alle warten auf mich vor der Schule, zu spät komme gilt da nicht, wo ich doch immer Pünktlichkeit predige. Die Bühne ist wunderbar geschmückt, abgesehen von ein paar Sparkassen-Luftballons alles nur Pflanzen und Blumen. Eine schöne Krippe haben unsere Jungs gebaut, die Figuren habe ich vor 3 Jahren aus Deutschland mitgebracht. Die Herbergsuche, gespielt von Kindern, die einmal selbst heimatlos waren, singhalesische und tamilische Weihnachtslieder, in Deutsch "Ihr Kinderlein kommet" und "Stille Nacht". Das Geschehen rund um die Krippe von unseren ganz Kleinen und dann noch den Mittleren.
Kurz nach 19 Uhr der Count down und dann packen mehr als 100 Kinder gleichzeitig Geschenke aus. Gut, dass Biggi Härtung, die Weihnachten hier mit uns verbringt, so viele nette Kleinigkeiten mitgebracht hat. Ein kleiner Gummiball, der nach dem Aufprall leuchtet, ein Puzzle, Buntstifte, bunte Aufkleber. Es braucht nicht viel, um diese Kinderaugen strahlen zu lassen.
Kaum zurück in den Häusern wird schon getauscht, werden die neuen Kleider angezogen und die ersten Ohrringe bereits verloren.

Pünktlich um 23:30 Uhr warteten alle vor dem Moon Light Haus und gemeinsam gehen wir die gut 500 Meter runter zur Marienkapelle. Hunderte von Öllämpchen leuchten und weisen den Weg, der südliche Sternenhimmel zeigt sich in all seiner Pracht und der Polarstern strahlt hell und erinnert mich unwillkürlich an den Stern von Bethlehem. Wir singen, wir beten und wir gedenken ganz besonders unserer Little Smile Oma, meiner Mutter, die uns in dieser Christnacht so nahe ist, nicht nur, weil ihre Urne in dieser Kapelle im Bergurwald steht. „Nie vorher“, so hat mir eine unserer ehemaligen Freiwilligen hier, die Anka, in ihrem Weihnachtsgruss geschrieben, „nie vorher habe ich den Geist von Weihnachten so sehr gespürt wie in Little Smile, mitten in einem buddhistischen Land.“
In diesem Moment sind wir alle, ganz egal wie alt, egal von welcher Rasse oder Religion einfach nur Menschen, voller Sehnsucht nach Frieden, nach Freude, nach Liebe.
Mir geht es nicht gut, ich habe seit 2 Tagen eine schlimme Magen-Darm-Grippe. Aber dort unten, inmitten all der Kinder, der Mütter und Frauen, deren einzige Hoffnung Little Smile ist, da schaffe ich es Zuversicht und Freude zu schenken. Wie es in mir tief drinnen aussieht, nach 10 Jahren ununterbrochenem Kampf, das darf und kann ich nicht zeigen.
Nach unserer mitternächtlichen Feier in der Marienkapelle:
Jedes Kind soll versuchen eine brennende Kerze durch die Nacht zu tragen, mit hoch zu nehmen zu den Kinderhäusern wo es ein Stück Sandkuchen und Tee geben wird, wo durch die tropische Nacht Weihnachtslieder klingen werden. Ich bleibe zurück, warte, bis alle gegangen sind, ich alleine bin in der von Öllämpchen erleuchteten Kapelle aus Lehm.
Von ferne höre ich die Weihnachtslieder, der Bach neben der Kapelle plätschert, ein Nachtvogel singt, die Lämpchen flackern. Ich weiß, die Kinder warten oben auf mich, ich dehne diesen Moment hinaus, ich spüre so viel Ruhe, so viel Frieden, hier an diesem Ort in genau diesem Augenblick. Und plötzlich weicht das Gefühl des Alleinseins, fühle ich die Nähe vieler Menschen die diesen Ort der Hoffnung möglich gemacht haben und mittragen.

Ich sehe viele Gesichter vor mir, weit weg, manche gar wie meine Mutter in einer anderen Welt. Und doch sind sie alle Teil von dem hier, sind Ausdruck dieser Hoffnung, dass Weihnachten lebendig werden kann, heute und hier. Und dass jeder seine Türe weit öffnen kann, auf dass nie mehr ein Kind in einem Stall sein Leben beginnen muss.

Ihr

Michael Kreitmeir
mit allen Kindern in den verschiedenen Einrichtungen von Little Smile Sri Lanka
sowie allen Mitarbeitern des Little Smile e.V. Deutschland