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Wie Anna Luxmi das kleine Lächeln fand

Ich möchte eine kleine Geschichte erzählen, die wie ein Märchen klingt. Da gibt es ein armes Mädchen, eine böse Mutter, eine " Hexe" und viele herzlose Menschen und....
Da sich die Geschichte in Sri Lanka abspielt nennen wir das Mädchen Anna Luxmi.


Hügel der Tränen
Eine armselige Behausung auf einem baumlosen Berg. Es gibt dort nur Steine, kein Wasser, nicht einmal ein Strauch kann da leben. Dieser trostlose Fleck gehört den Armen, weil ihn sonst kein Mensch will. Doch selbst hier unter den Verlierern gibt es noch ein Recht des Stärkeren. Für Anna Luxmi und ihre kleine Schwester bleibt der schlechteste Platz übrig bei einer älteren, bösen Frau. Diese Alte bekommt Geld dafür, dass sie Kinder, die von der Polizei gesucht werden wegen Diebstahl und Betteln, für einige Zeit versteckt.
Das Leben bei dieser "Hexe" ist auch nicht besser als auf der Strasse. Oft und es scheint auch gerne schlägt sie die Kinder und wenn ein Kind versucht wegzulaufen, holt sie einige Männer, die das Kind wieder einfangen. Ohne Geld gibt es kein Entrinnen und die Kinder haben kein Geld, weil sie alles abgeben müssen was sie stehlen können oder erbetteln. Wer versucht wegzulaufen und erwischt wird, den erwartet eine besondere Strafe. Mit einem glühenden Zweig werden große Brandwunden in die Beine gebrannt, weit oben fast am Popo, wo man es nicht sieht es aber besonders weh tut. Sitzen kann man dann viele Wochen auch nicht mehr ohne Schmerzen.


Begegnung mit Loku Sudu Minha
Ein Mann kommt den Berg hochgeklettert. Er sieht ganz anders aus als die Menschen hier. Er ist sehr groß, hat eine fast weiße Haut und helle Haare. Einige der Kinder hier haben diesen Mann schon einmal gesehen. Sie wissen, er wird zu einer Hütte am Ende dieses Hügels gehen, wo ein alter Mann mit seiner blinden Frau lebt. Die Alten wären längst verhungert, doch sie bekommen drei Mal in jeder Woche Lebensmittel. Immer wieder schaut dieser seltsame Mann nach, wie es ihnen geht, Niemand weiß, wann er kommt, aber alle sind sehr vorsichtig, wenn er in der Nähe ist. Sogar die Hexe, die sonst niemanden fürchtet, scheint vor diesem Mann Angst zu haben. Die Kinder nennen ihn "loku sudu minha" - den großen weißen Mann.
Doch heute geht loku sudu minha nach dem Besuch in der Hütte der Alten nicht gleich zurück. Die Kinder können ihn ganz genau sehen, da die Lehmwände der kleinen Hütte, in der sie sich verstecken müssen, wenn dieser Mann in der Nahe ist, viele Löcher haben.
Er kommt gerade auf die Hütte der Kinder zu, bleibt stehen, spricht mit einer kleinen dunklen Frau, die er mitgebracht hat und zeigt auf die löchrige Wand der Behausung. Die Kinder erschrecken und kauern sich auf Boden, wagen kaum zu atmen.
Die Hexe geht den beiden Fremden entgegen, fuchtelt aufgeregt mit den Armen, versucht sie irgendwie loszuwerden. Auf keinen Fall sollen sie die Kinder in der Hütte entdecken. Wie klein die Alte neben dem weißen Mann ist, wie schwach und hilflos sie plötzlich den Kindern erscheint. Anna Luxmi nimmt all ihren Mut zusammen, sie ist die Älteste in der Hütte mit ihren 11 Jahren. Im Rücken der Alten schlüpft sie aus der Hütte und winkt dem sudu minha zu. Sie versteht nicht die Sprache dieses großen Mannes, seine Augen haben die Farbe des Himmels. Anna Luxmi will nicht zurück auf die Straße, nicht zu den Männern, deren Atem so schlecht riecht und die sie immer anfassen muss, Anna Luxmi will weg von der Hexe, weg von den Schlägen, egal wo hin.
Anna hat eine Idee. Mit ihren Liedern kann sie manchmal selbst harte Menschen weich machen. Sie möchte auch für sudu minha singen, so wie auf den Strassen der großen Stadt. Sie möchte ihn verzaubern mit diesem Lied von dem Mädchen mit der jüngeren Schwester, den zwei Kindern ganz alleine auf dieser großen Welt, genau so wie sie und ihre Schwester.
Die Augen der Alten funkeln zornig und böse, Regen prasselt auf das Dach mit den vielen Löchern, läuft in die kleine Hütte, alle sind sie bald völlig durchnagest. Ganz plötzlich und sehr schnell kommen hier die dunklen Wolken und spucken ihre nasse Fracht über den kleinen Hügel.
Doch der fremde Mann ist nicht weggelaufen vor dem Regen, er ist in die Hütte geschlüpft, steht gebückt da, ein riesiger Schatten, Wasser tropft ihm auf die Haare, läuft über sein Gesicht.
Anna Luxmi spürt, dass sie das Herz dieses Mannes weich gesungen hat, sie sieht es in seinen blauen Augen im Halbdunkel der Hütte. Sie hat keine Angst mehr, nicht einmal vor der Alten oder vor dem nächsten Abend und dem darauf folgenden Morgen. Anna Luxmi singt und schlägt auf ihrer kleinen Trommel, als ginge es um ihr Leben. Der Regen trommelt auf dem Blechdach mit ihr um die Wette. "Podi Nangi Adanna Epa" - kleine Schwester du brauchst nicht weinen. "Oyatath Tharuwak Thiyenawa Suwargaye" - auch für dich leuchtet am Himmel ein Stern.


Little Smile
Regen trommelt auf das Dach, schwillt zu einer kleinen Flut, der sich die Dachrinne vergeblich entgegenstemmt. Alles scheint extrem in diesem Land, Regen und Hitze, Freude und Tränen?
Doch selbst der stärkste Monsunregen kann nicht ins Innere des Hauses dringen. Anna Luxmi sitzt am Fenster, vorsichtig auf der linken, nicht verbrannten Seite, die dürren Beine an den Körper gezogen mit den Armen umschlungen, den Kopf auf den Knien. Anna geniest dieses Gefühl stärker zu sein als die Wassermassen, obwohl sie immer wieder den Kopf hebt um an der Decke nach Spuren von eindringendem Wassers zu suchen. Nichts, das Dach, das Haus ist stärker. Die Gebäude hier sind völlig anders, als die zahllosen Hütten, in denen Anna Luxmi bisher gelebt hat. Groß, hell, sauber, mit Tischen, Bänken, ja sogar Schränken. Das tollste aber ist: zum ersten Mal in ihrem Leben hat Anna Luxmi ein eigenes Bett, ganz für sich alleine.
Anna Luxmi hat viel Zeit am Morgen wenn alle anderen Kinder in der Schule sind. Nicht alle denn auch Walli Ama und die kleine Niroshani gehen nicht in die staatliche Schule.
Gestern ist Anna Luxmi zum ersten Mal an diesen Ort gekommen. So oft war das Kind in den letzten Wochen am großen Tor vorbeigeschlichen, hat von der kleinen Strasse heruntergeschaut, die vielen Kinder hier gesehen. Die Alte hatte ihr Angst gemacht, erzählt, dass diese Kinder gefüttert und gepflegt werden. Wenn sie schön rund, gesund und sauber sind werden sie in ein fremdes Land verkauft, wo ihnen dann das Herz heraus geschnitten wird, um dieses dann reichen Fremden zu geben. Am Anfang hat Anna Luxmi diese Geschichten geglaubt und hatte Mitleid mit den lachenden und spielenden Kindern an diesem Ort. Aber es gab eben auch andere Geschichten. Zwar durfte Anna Luxmi nie zur Schule gehen, aber sie kannte ein Kind aus der Schule. Da wurde dann viel erzählt von dem großen weißen Mann, der auch für die Schule eine Wasserleitung gebaut hat und einen Tempel für die Hindus, denen sonst in dieser Gegend niemand hilf. Dieser Mann war schließlich ja auch auf dem Hügel erschienen, mit Essen für Alte und Kranke.
Anna Luxmi hatte sich überlegt, dass es vielleicht gar nicht so schlimm wäre, wenn man ihr später einmal das Herz herausschneiden würde, denn bis dahin würde sie ein schönes Leben haben. Und nachdem sie an jenem Nachmittag im Regen, in der kleinen Hütte den Mann ganz nahe gewesen war seine so seltsamen Augen gesehen und seine dunkle Stimme gehört hatte, konnte das Mächen nicht so recht glauben, was die Alte erzählt hatte, zumal die ja immer log.
Und so hatte Anna Luxmi keine Angst gestern, als sie mit der Alten durch das große grüne Tor ging. Am Abend davor wollte Anna sterben, als die Alte ihr so wehtun lies, weil sie aus dem Versteck gekommen und für den Mann gesungen hatte. In der Nacht hatte sie lautlos und ohne Tränen geweint und sich vorgenommen, das Sterben zu verschieben. Lieber ein paar Tage oder Wochen gut leben, selbst wenn es ihr das Herz kosten würde.
Am Morgen dann hatte die Alte ihr wortlos ein Shirt und einen Rock hingeworfen, Kleidung, die Anna Luxmi nur selten und bei besonderen Anlässen anziehen durfte.
Was sollte das bedeuten? Immerhin, um sie noch einmal zu bestrafen würde ihr die Alte nie gute Kleidung geben, weil man die nachher wieder waschen musste und Blut so schlecht raus ging. Und auch für das Betteln in der Stadt gäbe es ganz andere, zerrissene Kleidung. Was also würde dieser Tag bringen? Am Abend hatte Anna Luxmi noch sterben wollen, aber jetzt wollte das Mädchen leben, hatte Angst, große Angst, als es hinter der Alten den Hügel herunterkletterte. Die Wunde am Bein schmerzte bei jedem Schritt besonders wenn der Stoff des Kleides das verbrannte Fleisch berührte.
Der Weg führte am kleinen Krankenhaus vorbei, den Pfad abwärts und bei dem mächtigen Regenbaum rechts. Die Alte musste verschnaufen und Anna Luxmi hatte Zeit einen Blick auf das große Dorf der Kinder zu werfen. Sie standen jetzt genau auf der Strasse oberhalb dieses verbotenen Ortes. Anna Luxmi überlegte, ob sie die Flucht wagen sollte, aber die Alte war schnell, schneller als irgendein Mensch es ihr würde zutrauen und das Mädchen hatte eine schmerzende Wunde. Es war aussichtslos. Traurig blickte das Kind auf die schönen Hausser mit den roten und weißen Dächern.
Anna konnte nicht glauben was danach geschah. Die Alte bog wieder nach rechts ab und sie standen vor dem großen grünen Tor auf das große bunte Buchstaben gemalt waren, die Anna nicht lesen konnte, die aber lustig aussahen. Die Alte drückte auf die Klingel, eine Ewigkeit verging und Anna Luxmi hatte zum ersten Mal an diesem Tag Angst aufzuwachen. Dann aber kam eine dicke Frau die Anna anlächelte. Die Frau hatte ein rundes Gesicht, zu große und etwas schiefe Zähne. Das auffälligste aber war ihr Lächeln, so breit, dass selbst das dicke runde Gesicht zu klein wurde. Es schien dem Mädchen, als würde der Mund immer größer werden und schließlich von einem Ohr zum anderen reichen. Was aber dem Mädchen sofort aufgefallen war, diese Frau roch vom Fuß bis in die Haarspitzen nach Essen, nach gutem Essen.
Als könnte die Frau ihre Gedanken erraten, nahm sie Anna Luxmi bei der Hand.
Zu dritt gingen sie den Berg herunter auf einer sauber gepflasterten Strasse. Es gab hier Schilder die den Weg zeigten und das war auch gut so, denn schon wenige Meter hinter dem Tor zweigte die Strasse zu einem sehr schönen hellen Haus ab. Die kleine Gruppe aber ging gerade aus weiter, immer noch den Berg runter, vorbei an einem sehr großen Haus mit vielen weißen Säulen. Und dann standen sie vor einem gelben Gebäude mit einem sehr schönen Bild, das eine Mutter mit einem Kind zeigte.

Die Tür dieses Hauses stand offen, aus dem Inneren drangen seltsame Geräusch, fast so als würde ein großer Vogel über ein poliertes Stück Holz laufen. Tak, tak, tak, tak?
Im Raum waren wunderschöne Tische, auf denen Fernsehgeräte standen, die aber nur Schriftzeichen zeigten. Im Hintergrund erkannte Anna Luxmi hinter einem riesigen Tisch den großen weißen Mann. Er lächelte Anna Luxmi an, er schien gar nicht überrascht. Dann sagte er etwas zu der dicken Frau in einer fremden Sprache. Die sagte sofort "Yes, Lokuthatha" und zog Anna Luxmi mit sich fort, in ihr Reich der tausend Gerüche.
Anna Luxmi hatte die Alte seitdem nicht mehr gesehen und nicht einen Moment vermisst. Nachdem sich das Mädchen so richtig voll gegessen hatte, die dicke Frau aber immer noch nicht aufhörte, ihren Teller voll zuladen, kam die dunkle Frau, die Anna gestern mit dem weißen Mann, den hier alle Lokuthatha nennen, auf dem Berg gesehen hatte. Ihr Name sei Shantamalar. Anna spürte sofort, dass diese Shantamalar stark war und man mit ihr besser nicht kämpfte sondern auf sie hörte. Shantamalar ging mit ihr zum großen hellen Haus. Shantamalar zog feierlich einen Schlüssel aus einer kleinen Tasche und Anna merkte, dass etwas besonderes passierte, so feierlich sperrte die junge Frau diese Türe auf. Im Inneren war es dunkel und angenehm kühl. Alles hier war so sauber, als hätte man das ganze Haus für ein großes Tempelfest poliert. Aus einem riesigen Schrank der glänzte wie ihre Lieblingsgöttin Shiva in dem Haupttempel der großen Stadt, suchte Shantamalar aus Bergen von Kleidern genau das aus, was Anna Luxmi wirklich gefiel. Ein rotes Shirt, einen bunten Rock, noch einmal eine bunte Weste und ein farbenfrohes Kleid.
Danach führte Shantamalar das Mädchen in ein sehr seltsames Zimmer. Es war gebaut aus glitzernden, blauen Steinen mit schönen Mustern. Hinter der Wand musste eine warme Quelle verborgen sein, denn wenn man an einem Hahn drehte, sprudelte warmes Wasser. Zuerst erschrak Anna, aber das warme Wasser auf der Haut war angenehm, selbst wenn die Brandwunde wehtat.
Anna Luxmi machte alles ganz langsam und vorsichtig, weil das Mädchen die ganze Zeit große Angst hatte, aus diesem Traum aufzuwachen.