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So lange denkt kein Mensch voraus! Wie soll man diesen Zeitraum greifen, begreifen, wenn es um das eigene Leben geht? 9131 Tage und Nächte sind das, ein Drittel des statistisch zu erwartenden Lebens. Wie soll man 25 Jahre planen, wenn sie sogar im Rückblick schwer zu fassen sind? Das mit dem Zurückschauen und Nachdenken möchte ich trotzdem versuchen und dass es sogar gelingen kann liegt daran, dass ich diese unfassbar lange Zeitspanne von Anfang an in Abschnitte eingeteilt habe, die man überblicken kann, weil die Erinnerungen noch frisch sind, die Freuden und auch Schmerzen, die Hoffnungen und Enttäuschungen, halt all das, was unser Leben ausmacht. Mehr noch, ich habe jeweils 3 Monate in Bildern eingefroren und dies Phasen genannt, Teile dessen, was Little Smile abbildet, etwas, das ständig wächst, sich verändert, wie ein lebendiger Organismus. Zugegeben, hier erscheint längst nicht alles, aber doch so viel, dass das Betrachten in meinem Gehirn etwas in Gang bringt, so dass Erinnerungen, ja Gedanken, sogar Gefühle, die irgendwo verborgen schlummern, hervorgekramt, ja lebendig werden, ein Tagebuch in Bildern sozusagen. Doch auch dem Betrachter, gerade dem, der nicht hier lebt, ja sogar nie hier war, soll ein Eindruck vermittelt werden von dem, was in jeweils drei Monaten in und durch Little Smile geschah. Konzentriert habe ich mich von Anfang an bei der Auswahl dessen, was ich einst mit der Kamera und später mit dem Smartphone festgehalten habe, auf das Leben in und rund um die große Liebe meines Lebens: Little Smile. Welches Bild den Weg in die Öffentlichkeit nehmen durfte, ja sollte, leicht habe ich es mir nicht gemacht, das festzulegen, besonders als es dann immer mehr Eindrücke wurden, die man festgehalten hat, weil die Kamera mit Telefonfähigkeit ja immer mit dabei war.
Irgendwann, das war und ist mir klar, werden diese Bilder und die kurzen Texte für mich sprechen müssen, bleibt nur das, was sie und die von mir formulierten Gedanken bei Anderen auslösen, irgendwann werde ich selbst verstummt sein, Erinnerung nur, ein Schatten gebannt in Bits und Bytes. Freilich, als ich im Jahr 1999, dank der Hilfe eines technisch fitten Bekannten unter www.littlesmile.de eine Homepage bastelte, das noch sehr neue und unglaublich langsame Internet für Little Smile entdeckte, in einer Zeit, in der die Bilder noch klein und mit schlechter Auflösung ihren Weg fanden in die Welt und selbst das eine kleine Ewigkeit dauerte, bis es dort angekommen war, da dachte ich weder an Reichweite, schon gar nicht an ein weltumspannendes Netz und auch nicht daran, was in 25 Jahren sein könnte. Ich habe damals mit mir selbst genug zu tun gehabt, mit meinem inneren Kampf, wie weit ich mich auf das, was ich gerne so bezeichnend „Abenteuer Menschlichkeit“ nenne, einlassen sollte und wie viel von meinem deutschen Leben als Filmemacher und Regisseur, als Vater und Ehemann, als Sohn und Freund ich dafür zu opfern bereit war. War es damals nicht mehr ein exotisches Spiel, bei dem man aufpassen musste, sich nicht zu weit vorzuwagen? Nein, ein Spiel war es nie, dafür war es nicht leicht und ausgelassen genug! Eher war es der Besuch, zeitlich begrenzt, in einer anderen Welt, in einem anderen Leben, mit anderen Menschen, anderen Aufgaben.
Zwei, höchstens drei Monate im Jahr war ich bereit, dafür von meinem Leben herzugeben, versuchte das zu organisieren, wie ich sonst Filmaufnahmen organisierte. Ich sah mich als jemand, der anstieß, der Ideen umsetzte, der Menschen führte, ja, es hatte viel von dem, was ich auch sonst tat, wenn ich in einer Dokumentation das, was ich als Fakten erkannte, in Bilder und Worte zu fassen suchte, nur dass es da eben auch Taten waren. Die ersten beiden Kinderhäuser zum Beispiel, deren Entstehung ich genauso mit der Kamera festhielt, wie die Urbarmachung des Grundstücks und die Ursache all dieser Aktivitäten, die meist versteckte aber doch himmelschreiende Not, besonders von Kindern oder verlassenen Müttern.
Ich verband, ohne darüber nachzudenken, zwei sehr unterschiedlich und sonst klar getrennte Welten: Die der Bilder und die der ganz realen Taten. Baute und hielt diesen Prozess fest, stellte die Menschen dahinter vor, nahm diejenigen, die nicht hier sein konnten, diejenigen, für die Sri Lanka auch damals schon nur ein Paradies für Touristen war, mit hinein in die Wirklichkeit der Opfer, Leidenden. STERNSTUNDEN, die Benefizaktion des Bayerischen Fernsehens, interessierte sich für das Material und weil man für eine weihnachtliche Spendengala auch soziale Aktionen braucht, vorzeigbar versteht sich, interessierte man sich auch für mein Tun oder doch zumindest für das Material. Man bot dem Projekt finanzielle Unterstützung an, plötzlich hatte ich Verantwortung, auch für fremdes, mir anvertrautes Geld, die Unabhängigkeit, die immer auch ein Stück Unverbindlichkeit beinhaltet, war dahin, ohne dass ich das zuerst auch nur bemerkt hätte.
Ich war stolz auf die Anerkennung, tauchte tiefer ein, gab mehr, überschritt die mir selbst gesteckten Grenzen, investierte immer mehr Zeit und Engagement in Sri Lanka und auch in die Herstellung der Filme und bei der damit unweigerlich verbundenen Überzeugungsarbeit von Redakteuren und Programverantwortlichen. Das ging zwangsläufig auf Kosten meines Lebens in Deutschland, meiner Familie, auch der Karriere, für die die Zeit knapp wurde.
Drei Monate sind ein überblickbarer Zeitraum, selbst wenn so viel geschieht, wie hier im Bergurwald Sri Lankas. 4 mal 10 bis 15 Bilder und Kurzberichte in den sogenannten Phasen und schon ist ein Jahr vorbei, erst eins, dann zwei, dann drei und irgendwann 25.
Kinder werden gebracht, klein meist und verstört, manche beinahe zerstört. Sie fordern, oft auch heraus, besonders wenn sie in die Pubertät kommen. Man reicht die Hand, selbst wenn die gar nicht so selten weggeschlagen oder gebissen wird – was übertragen gemeint ist, aber nicht minder schmerzt. Wer selbst Kinder hat weiß genau, wovon ich hier schreibe. Die Kleinen werden groß und gehen irgendwann, zuweilen ohne ein Wort, zornig manchmal, meist mit ein paar Tränen und wieder werden Kinder gebracht, geht alles von vorne los und doch bei jedem Kind auch ein wenig anders. Dankbarkeit kommt vor, ist aber nicht garantiert. Da heißt es stark sein, immer und immer wieder anfangen, darauf vertrauend, dass man das Richtige tut.
Und dann wischt man durch den Folder mit den Fotos, sucht diejenigen, von denen man glaubt, dass sie das, was in den vergangenen drei Monaten passiert ist, am besten wiedergeben und plötzlich merkt man: Oh mein Gott, ich bin in der Phase 100.
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