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An Ostern kam der Tod

Wie wir in Little Smile die Bombenanschläge erlebten

Es ist so unwirklich, man kann es nicht sehen, nicht hören, nicht riechen und doch ist es da, überall. Wer wie ich in München gelebt hat, malerisch vor den bayerischen Alpen gelegen, der kennt den Föhn und seine bleierne Schwere, die sich auf die Menschen zu legen scheint, unsichtbar und doch allgegenwärtig. Es ist ähnlich und doch wieder ganz anders! Über das Kinderdorf Mahagedara hat sich etwas Schweres, Belastendes, Drückendes gestülpt, ist in jeden Winkel gekrochen wie ein tödliches Gas. Wo gerade noch Kinderlachen war, österliche Freude und gespannte Erwartung, wo denn nun die Süßigkeiten versteckt und dann natürlich auch gefunden werden, sitzen wir jetzt rum, in kleinen Gruppen, reden leise, so als solle ja niemand auf uns aufmerksam werden. Auch wir haben in unserer kleinen Kapelle Osterlieder gesungen, gerade noch von der Erlösung gesprochen und der Hoffnung darauf, dass mit dem Tod eben nicht alles vorbei sei. Und während wir in unserer kleinen Dschungelkapelle die prächtige Osterkerze angezündet haben, ein Geschenk der „Tante Lenka“ aus Füssen, gingen in viel größeren Kirchen Bomben los, verwandelten diese Orte der Andacht, des Betens und Glaubens in ein Schlachtfeld. Wir liegen fast genau in der Mitte zwischen den Anschlagorten, zwischen Colombo im Westen und Batticaloa im Osten, weit genug weg, sollte man meinen und doch traf mich das, was dort geschah mitten ins Herz.
Erinnerungen, längst überwunden geglaubt, werden wach. Gewalt, Tod, willkürlich, Angst überall, ein Spiel um Macht mit so vielen Verlierern. Ich habe das Töten gesehen in einem Land, das die Meisten nur als Touristen kennen und gerne als Paradies bezeichnen. Ich habe erlebt, wie schnell Stimmungen umschlagen, aus Nachbarn Feinde werden, aus Menschen ein Mob, unberechenbar, unkontrollierbar, blutrünstig, grausam. Ich dachte, das wäre überstanden, vorbei!

Um mich herum scheint man noch gar nicht so recht zu begreifen was passiert ist. Gerüchte ist man hier gewöhnt und so ist es ganz natürlich, dass man all dem, was man nicht selbst sieht, mittelbar erlebt, eher misstraut. Irgendwie kann es einfach nicht wahr sein. Der Bürgerkrieg mit seinen Bomben ging vor fast genau 10 Jahren zu Ende mit einer vernichtenden Niederlage für die Feinde der staatlichen Macht. Tamilen stecken ganz sicher nicht hinter dem, was geschehen ist. Bomben werden gebaut, versteckt, sollen Leid und Tod, Angst und Schrecken verbreiten, treffen meist Unschuldige und doch verspricht sich jemand davon etwas. Was?  Klar, es gab und gibt immer mal wieder Spannungen, besonders von den buddhistischen Nationalisten ausgehend gegen die Minderheit der Muslime, aber warum Christen und warum am Ostersonntag in Kirchen? Wem haben diese Menschen etwas getan? Christen gehören sowohl zur singhalesischen Mehrheit als auch zur tamilischen Minderheit, mit nicht einmal 7 % der Bevölkerung bedrohen sie niemand, im Gegenteil. Gerade Christen wirkten in der Vergangenheit oft ausgleichend, vermittelnd. Und dann kommen die ersten Bilder, aufgenommen mit dem Smartphone in einer der Kirchen. Diesmal sind es keine Geschichten und die zertrümmerten Kirchen, blutbesudelt, stehen auch nicht irgendwo in Afrika.
Mein Telefon piepst, Whats App: Wie geht es Euch?
Vor nicht einmal einer Stunde habe ich ein Kurzvideo verschickt, einen Osterhasen, der genüsslich eine Löwenzahnblume verspeist: „Frohe Ostern“. Ewig scheint das plötzlich her.
Was ist bei Euch Los? Warum? Wer? Als wenn wir das wüssten! Kann nicht mal sagen, wie es mir, wie es uns geht. Soll ich antworten: „Hier keine Bombe“ nur weil das Loch, das mir ins Herz gerissen wurde, unsichtbar ist?
Shiran Silva ist alleine mit seiner hochschwangeren Frau in der großen Farm. Er ruft ständig an, klingt besorgt und versorgt uns, ungefragt, mit Neuigkeiten – und die werden immer schlimmer. Kann ihn nicht alleine lassen, ich weiß sehr gut, wie sich das anfühlt, also fahre ich dort hin. Am Straßenrand stehen Männer, meist in Gruppen von zwei bis vier, starren in ein Smartphone. Die Nachricht macht gerade die Runde. Das Dorf Lemasthota neben der Farm hat sie noch nicht erreicht, da feiert man eine verspätete Neujahrsparty, mit Musik und Spielen, so wie überall in den Dörfern in den letzten Tagen. Wissen die wirklich noch nichts oder kann es sein, dass die trotzdem feiern, so tun, als sei nichts gewesen? Wie so viele Fragen bleibt auch die ohne Antwort. Kurze Zeit später ist Schluss mit lustig, die Polizei will überhaupt keine Ansammlungen von Menschen mehr, die Hetze ist in den „unsozialen Medien“ bereits losgegangen, die Schuldzuweisungen auch, die ersten Politiker versuchen Kapital aus der Situation zu schlagen. Was wird nach der Schockstarre kommen? Wohl nichts Gutes, so vermuten die Mächtigen und drehen Facebook und Co, auch Whats App und Twitter den Saft ab. Ich möchte keine Nachrichten sehen. Egal welche Sender, egal ob National oder International: Hauptsache man ist der Erste der berichtet, was ist egal.

Dumme Kommentare die nicht einmal versuchen, das Nichtwissen zu kaschieren braucht niemand, ich ganz sicher nicht!  

Shiran ruft wieder an, er sitzt gebannt am Fernseher, wie wohl fast alle Menschen hier und anderswo in Sri Lanka. Es ist inzwischen sicher, dass auch drei Luxushotels angegriffen wurden, es wird von Selbstmordattentätern gesprochen und davon, dass es bereits vor knapp 2 Wochen eine Warnung gegeben haben soll. Ich will das Alles gar nicht mehr hören, brauche nicht ständig neue Details. Ich habe traurige Gewissheit, dass etwas Schreckliches geschehen ist, etwas, das jede Grenze überschreitet. Ich kann nicht begreifen wie Menschen so weit kommen, anderen Menschen so etwas anzutun, da helfen auch keine Nachrichten, keine Analysen: Das Unfassbare bleibt unfassbar!

Ich habe die Kinder versammelt und die Betreuerinnen, versuche zu erklären, was passiert ist und warum wir keine Süßigkeiten verstecken und suchen. Die Kleinen verstehen nicht, wie sollten sie auch, die Älteren sind nachdenklich, besonders die christlichen Kinder erschüttert. Ich schlage vor, sie sollen alle ein Bild malen, Ostern 2019, ein Ostern, das wir alle nie vergessen werden, ein Fest ohne Osterhasen, auch auf den Bildern der Kinder, die ich am Abend bekomme.

Noch vor der Dunkelheit beginnt eine Ausgangssperre, 12 Stunden lang darf Niemand sein Grundstück verlassen, überall Polizei, Militär. Es ist gespenstisch ruhig, sogar die Nachttiere scheinen zu spüren, dass irgendwas nicht stimmt, verhalten sich ruhig. Die Kinder hier haben den Krieg nicht mehr erlebt, zumindest nicht bewusst, sie spüren trotzdem, dass was nicht in Ordnung ist da draußen, jenseits unseres Tores. Bevor Angst die Unsicherheit verdrängt, zumal nun auch noch der Strom ausgefallen ist und sich zur Stille die Dunkelheit gesellt, rufe ich Alle ins Mainhaus, werfe den Generator an und wir schauen zusammen einen Film über Leben und Tod des „Jesus von Nazareth“. Sie kennen die Geschichte. Am Ende ist Ostern, das Grab ist leer, Jesus erscheint den Aposteln in strahlendem Weiß, der Auferstandene.
Den Teil von der Geburt bis zum Tod am Kreuz, ja, da kann man sich gut reinfühlen. Wer die Wahrheit sagt bekam und bekommt fast immer Probleme mit den Mächtigen, wer heute der Star ist kann schon morgen sehr tief fallen. Nur das Ende, das mit dem Toten der nach drei Tagen wieder aufsteht, an diesem Ostersonntagabend 2019 fällt es sehr, sehr schwer daran zu glauben, weil ein Happy End gibt es fast immer nur in Geschichten und ganz sicher nicht für all die Menschen, die heute zur falschen Zeit in der falschen Kirche einfach nur die Ostermesse feiern wollten.