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Und immer wieder: Vor Gericht

Eine Posse um Recht und Gerechtigkeit - Teil 1

Vorwort

Die heile Welt, egal wie sehr wir sie uns alle wünschen, es gibt sie einfach nicht, auch nicht da, wo Kindern in Not geholfen wird. Entweder wird ein Bild gezeichnet von netten Kindern, umsorgt von selbstlosen Helfern, denen zur Umsetzung des vielfachen Kinderglücks nur ausreichend Spenden fehlen oder aber wir hören von Orten, wo Kinder schlecht versorgt oder sogar missbraucht werden.
Jede Organisation, die sich um Kinder kümmert, hat ein nachvollziehbares Interesse, die Arbeit, die geleistet wird, von der besten Seite darzustellen. Offenheit, Ehrlichkeit gilt als Verrat an der Sache, nur die Spender nicht noch weiter verunsichern. Die Welt ist schlecht genug, wo jetzt sogar der geliebte Fußball von Syndikaten und gierigen Funktionären verschoben wird.
Abgesehen von all den Problemen und Schwierigkeiten, die man hat, wenn man die Verantwortung für Kinder übernimmt, die häufig bereits viel durchmachen mussten, wer sich kompromisslos an den Interessen der ihm anvertrauten Kinder orientiert, bekommt sehr bald eiskalten Gegenwind.
Seit ich im November 1999 den ersten Kindern in den Bergen Sri Lankas ein Zuhause gab, habe ich unendlich viel erlebt, womit ich nie gerechnet hätte: Neid und Missgunst den Kindern gegenüber, Anfeindungen, Lügen und Intrigen gegen mich und andere Mitarbeiter unserer Einrichtungen. Anonyme Anzeigen, Polizeieinstätze, Prügel gegen Kinder, ja sogar tätliche Angriffe. Wer ernst macht mit der Hilfe für Kinder in Not, der macht sich schnell Feinde, besonders bei denen, die die Sorge für die Kinder ihres Landes lautstark als ihr Recht einfordern und dann dafür sorgen, dass alles so bleibt wie es ist. Es gibt Situationen, da hilft keine Diplomatie, im Gegenteil. Da muss man Farbe bekennen. Mir hat mein Einsatz für Kinder viel Ärger eingebracht, mehr noch, ich wurde bedroht, angegriffen, ins Gefängnis geworfen und immer wieder vor Gericht gezerrt.
Besonders absurd war es am Herbst 2016, als das Probation, also die Kinderschutzbehörde des Staates, mich per Gericht zwingen wollte, ihre Auffassung zu übernehmen, wie Orte für Kinder in Not in Sri Lanka auszusehen haben. Der pauschale Vorwurf: Ich würde die Arbeit der Behörde behindern.

Mr. Mikel is back

Er grinst mich an und scheint wirklich erfreut mich wieder zu sehen. „Welcome Sir!“ Vor vielen, vielen Jahren war er Hilfsarbeiter im Kinderdorf, dann bekam er die Chance seines Lebens, einen Regierungsjob. Seitdem steht er am Eingang zum Gericht in Bandarawella. Die Freude am Wiedersehen beruht jedoch nicht auf Gegenseitigkeit, hatte mir so fest vorgenommen, wirklich ALLES zu vermeiden, was mich noch einmal hierher führen könnte. Ob als Beklagter oder als Kläger, nie hatte ich hier jemals den Eindruck, es ginge darum, die Wahrheit herauszufinden oder gar um Gerechtigkeit. Hier ist der Ort um Menschen, die aufgrund eines Fehlers oder durch Pech ins Räderwerk dieses Systems geraten sind, zuallererst richtig auszunehmen. Gehe selbstbewusst durch den Saal, auf der Seite, wo die Offiziellen sitzen ist ein Stuhl frei. Falsche Bescheidenheit ist hier so unangebracht wie die Erwartung, dass das was hier passiert mit Gesetz und Recht zu tun hat. Heute ist der Marktschreier, der lauteste und damit der erfolgreichste der Anwälte für mich engagiert.
Vom Probation (Jugendamt), ist noch niemand da. Wenn die nicht kommen, warte ich, bekomme einen neuen Termin, zahle meinen Anwalt. Die dürfen das, die sind Teil des Staates wie auch alle, die hier über Recht und Unrecht entscheiden. Die Behauptung der obersten Kinderschützerin der UVA Provinz, der Frau Commissioner, ich würde ihre Arbeit behindern, ist genauso weit von der Wirklichkeit entfernt wie die Vorstellung, die würden sich auch nur im Geringsten um das Wohl der Kinder kümmern. Es geht um die eigene Macht und ihre Durchsetzung aber auch darum zu verschleiern, wie schlimm es in den eigenen also den staatlichen Kinderheimen ausschaut und zugeht. Wer dann, wie ich Respekt und Achtung einfordert und zwar uns, den Betreuerinnen aber auch den Kindern gegenüber, der stört das System, in dem die Kinder für die staatlichen Kinderbetreuer da zu sein haben, so wie die Studenten für die Lehrer, die Kranken für die Ärzte, das Volk für die Politiker.

Der Vorwurf ist so absurd wie das ganze Theater hier und doch weiß man letztlich nie, was rauskommt, vielmehr ob man selber hier wieder rauskommt, als freier Mann.  Es geht auch gar nicht um eine vermeintliche oder tatsächliche Behinderung. Beamte dulden hier keinen Widerspruch, sie haben immer Recht weil sie bestimmen was richtig und damit recht ist. Jede Frage stellt diesen Anspruch bereits in Frage und kann daher nicht geduldet werden. Der Beamte ist Teil eines Apparates, der bestens für sich selbst sorgt, indem er den Nichtbeamten zum Abhängigen und Bittsteller degradiert, warten, zappeln lässt. Die Arbeitszeit kurz, die Privilegien lange, so lässt es sich gut leben, solange niemand auf die Idee kommt, das in irgendeiner Form in Frage zu stellen. Wer das wagt, findet sich ganz schnell wie ich in diesen heruntergekommenen Sälen wieder, in denen man hier zu Gericht sitzt und viel, viel Geld verdient, vorausgesetzt man ist Richter oder Anwalt.
9:30 Uhr, der offizielle Sitzungsbeginn, also noch viel Zeit bis es heute hier wirklich losgehen wird. Ich halte es hier nicht aus, muss einfach nochmal raus, dabei ist es vor dem Gerichtsgebäude sogar noch hässlicher als drinnen.  Verrostete Lastwagen, zerbrochene Sägen, halbverrottete Holzhaufen. Was die Polizei konfisziert und nicht selber brauchen kann verkommt, während jahrelang gestritten wird.
Meine Gedanken schweifen zurück ins Jahr 2010, als ich in einer Reihe von Prozessen um meine Freiheit kämpfen musste und hier vor genau dem gleichen Gericht stand. Zwar haben sich Richter und viele Anwälte geändert, nicht jedoch das Theater, das mich gleich erwarten wird.

Rück- und Vorschau:

Alea iacta est – die Würfel sind gefallen! Wird hier nur kurz verkündet, was bereits entschieden ist. Spielt die Gerechtigkeit in diesem Saal irgendeine, wenn auch noch so winzige Rolle? Ich bin früh dran, die Bänke sind noch nicht überfüllt, drei Anwälte in schwarzen Anzügen lümmeln an den Tischen, die in U-Form unterhalb des Richterpodestes angebracht sind und fast ein Drittel des Saales beanspruchen. Gerade mal sechs Bankreihen bleiben, in der Mitte trennt ein kleiner Gang die Frauen rechts von den Männern links. Bei den Frauen gibt es immer etwas mehr Platz, deutlich weniger werden auch heute nach vorne marschieren, weil das Brennen von illegalem Billigschnaps, sowie das verbotene Holzfällen nun mal Männersache sind und hier die häufigsten abgestraften Vergehen. Die Bänke sind hart, einzelne Bretter mit viel Zwischenraum. Selbst Einheimische, im dicht gedrängten Stehen, Liegen und Sitzen seit Babytagen trainiert, können sich maximal 8 in so eine Bank pressen

Es ist unbequem, die Sitzhöhe sogar für die Menschen hier sehr niedrig, der Abstand zur vorderen Bank so gering, dass mir schon nach Minuten das Kreuz schmerzt und die Beine einschlafen. Ich suche Zuflucht in einer Bank, die an der Außenwand steht und einen guten Blick bietet auf das Geschehen rund um den Richter. Ich wage es einfach mal hier sitzen zu bleiben, obwohl diese Sitzgelegenheit sicher nicht für Verdächtigte, Angeklagte, Ankläger oder Zuschauer zur Verfügung steht. Ach ja, da sind dann noch die Begleiter der Beklagten, um diese dann wieder frei zu kaufen, bevor sie in den Gefängnisbus verfrachtet werden. „Bail out“ ist freilich nur bei Vergehen möglich, für die an Ort und Stelle eine Geldstrafe verhängt wird, wie Rauchen und Trinken in der Öffentlichkeit, Fahren ohne Führerschein, erstmaliges Brennen von Alkohol und ähnliche Kleindelikten.

Es ist 9 Uhr, der Saal füllt sich, fast alle der Menschen hier sind Verlierer, bevor der Richter überhaupt erschienen ist. Wer hier ohne Schuhe oder auf nur billigen Gummilatschen antanzt, der wird von der Justitia mit hoher Wahrscheinlichkeit einfach übersehen, im Minutentakt abgefertigt, eingesperrt. Viele der Menschen hier kommen aus den Teedörfern, sind Tamilen, können kaum verstehen, um was es dann da vorne gehen wird, aber wen kümmert das.
„Mein“ Anwalt rauscht vorbei, ausgewählt, weil er die beste Show hier macht, laut, manchmal marktschreierisch. Er ist sehr begehrt, hat nicht viel Zeit, nickt mir mit seinem breiten Gesicht zu: „No problem, don’t worry!“ Immer wenn ich so was in der Vergangenheit gesagt bekommen habe, war höchste Alarmbereitschaft angebracht. In seinem Schlepptau eine unscheinbare Anwältin, über dem hellen Sari eine dunkle Jacke. Sie arbeiten oft zusammen, manchmal auch gegeneinander, zumindest für einige Momente um dem Klienten das Gefühl zu geben, man habe sein Bestes getan. Die Anwälte sind jetzt fast alle da, telefonieren lustvoll, ein Statussymbol hier drinnen, denn alle anderen müssen die Telefone abgeben. Der Richtertisch wird zurechtgerückt, auf Halbhöhe nimmt der Assistent des Richters Platz. Er wird die Namen aufrufen, die oft in Sekundenschnelle gefällten Urteile den Bangenden entgegenschleudern, die Akten hochreichen, abstempeln, er wird die nächsten Stunden sehr beschäftigt sein.

FORTSETZUNG FOLGT