Stuttgart- Koslanda: Aus einer relativ großen deutschen Stadt in ein kleines Nest im Herzen Sri Lankas.
Nichts war wie ich es gewöhnt war: Eine andere Kultur, ein anderes soziales Gefüge, ein anderes Verständnis von Leben und anderen Erwartungen und Zielen, ein anderer Umgang mit der Zeit, dem Jetzt und dem Morgen, eine andere Wahrnehmung der Realität und ab und zu ein mir völlig unbekannter Aberglaube und mir unbegreifliche Naivität.
Doch um all das zu bemerken brauchte ich einige Zeit. Zunächst einmal war ich völlig Orientierungslos, in einer anderen Welt, mit anderen Regeln und. Die ersten Tage, die ich im Lucky House verbrachte, mit den schon etwas älteren und selbstständigen Mädels, fühlte ich mich ein bisschen wie ins kalte Wasser geschmissen und schwimmen gelassen. Die Betreuerin dort, Anusha, hat mich, vielleicht um mich zu schonen oder aus mangelnden Englischkenntnissen, in keinerlei Regeln, den Tagesablauf oder in Aufgaben eingewiesen. - Im Nachhinein betrachtet ist es recht lustig, wenn ich an meine Kämpfe um Besen denke, die mir irgendjemand abnehmen wollte, sobald ich sie nur berührte, oder an die Abende, an denen mir Geetha Geschichten erzählte, ohne dass ich auch nur ein einziges Wort verstand. Zu Beginn hatte ich nämlich erhebliche Probleme das Sri Lankan English zu verstehen.
Mit dem Wechsel ins Moonlight House, zu den kleineren Mädchen, wurde es schlagartig besser: Durch die 4 Tage im Lucky House hatte ich eine Ahnung von dem wie die Dinge in Little Smile laufen und war nicht mehr vollkommen planlos. Mit den Betreuerinnen saßen Silke, eine andere Volontärin, und ich Abende lang zusammen und haben bis spät in die Nacht geredet, gescherzt und gelacht. Die Aufgaben waren klarer, ich war eingebunden in die täglichen Pflichten und es gab immer etwas zu tun.
Die alltäglichen Dinge wurden auch für mich zur Routine - selbst das Aufstehen um 5 Uhr morgens und dass ewig gleiche Buchstabieren einfacher englischer Wörter während der Study Time. In der Ferienzeit war der Stundenplan noch nicht ganz klar, doch sobald die Schulzeit begann wurde der Zeitplan streng eingehalten- eine vollkommen neue Erfahrung für mich, da ich normalerweise eher in den Tag hineinlebe- mal sehen was kommt. Doch war mir die Notwendigkeit einer solchen Tagesstruktur hier in Little Smile vollkommen klar.
Die kleineren oder größeren täglichen Dramas, die ganz im Stile des allabendlichen und viel geliebten Teledramas abgezogen wurden (wobei die Kleinen das natürlich nicht sehen dürfen - aber es liegt ihnen wohl im Blut), lernte ich zu ignorieren oder sie zumindest nicht ernst zu nehmen. Vieles kam mir zu Beginn so fremd oder andersartig vor, doch jetzt, nach drei Monaten dort, habe ich mich so sehr daran gewöhnt und es ist mir so sehr in Fleisch und Blut über gegangen, dass es mir schwer fällt es mir anders vorzustellen, bzw. mich daran als etwas Außergewöhnliches zu Erinnern.
Doch von Geburtstagsständchen, die noch vor fünf Uhr morgens von einer Horde begeisterter Michael Jackson Fans (und das sind fast alle) geschmettert wurden, oder Tee, der bei Stromausfall im Dämmerlicht draußen vor dem Haus genossen wurde, die Füße in der Regenrinne, schwatzend und lachend bis es dunkel war, oder eine der Lieblingsbeschäftigungen - Riverbathing- (Baden im Fluss) um bei Wasserknappheit aus der Not eine Tugend zu machen- und zu viele schöne Erinnerungen mehr, als dass ich sie alle auf schreiben könnte (und die meisten sind eh unbeschreiblich), werden mir meine Zeit mit den 19 Mädels lange in Erinnerung halten.
Mit Anusha, der Betreuerin aus dem Lucky House, die nun ins Moonlight wechselte, kehrte die Autorität und Disziplin in Persona ins Moonlight House ein. Die Mädels spurten, alles wurde verändert und unter Kontrolle gebracht (allerdings mit der Auswirkung, dass sie einen Grossteil der Pflichten, an die die Kinder zuvor schon heran geführt worden waren, wie z. B. das Wäsche waschen, vollkommen von ihr übernommen wurden- sie also eine Menge Arbeit hatte und die Kinder ein Stück ihrer Selbstständigkeit verloren).
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Charlotte GaugerDoch war das für mich teilweise wieder das Problem wie zu Anfang. Zwar verstanden wir uns sehr gut und ich war nicht mehr so hilflos, aber die Kommunikation war wieder viel eingeschränkter und ich wurde zum Teil nur wie eine Marionette hier oder dort hin kommandiert.
Schließlich wechselte ich noch ein letztes Mal das Haus: Zurück ins Lucky House, jedoch war ich dort plötzlich die Älteste. Doch war es wieder einfacher und angenehmer für mich- so sehr mir die kleinen Mädels auch ans Herz gewachsen waren- denn die nur drei Monate jüngere Shyamali, die zur Zeit die Verantwortliche im Haus ist, und ich besprachen alles was das Haus betraf ( und natürlich auch was es nicht betraf :) ) und was alles so vor sich ging. Ich verstand selbst Geetha problemlos und ich lernte die Mädels ein zweites Mal - nun aber richtig - kennen. Es wurde viel geschwätzt und gelacht, wenn im Stundenplan Zeit dafür blieb. Viele schoben Krankheit vor um ein bisschen mehr Zeit zu haben - zum Schlafen oder einfach nur für sich. Ich lernte jetzt so richtig die Unfähigkeit der Sri Lankanischen Lehrer kennen, die zum Teil schlugen, wenn Dinge die sie nie unterrichtet hatten nicht gewusst wurden, die nur zur Hälfte ihrer Unterrichtsstunden erschienen oder von den Prüfungsklassen verlangten, nur drei oder vier Stunden zu schlafen, stattdessen bis spät in die Nacht und ab morgens um drei Uhr zu lernen.....?! Die Aufgaben für mich waren ganz andere als im Moonlight House, da die Mädchen so ziemlich alles alleine erledigen und nur ab und an eine kleine Erinnerung oder Ermahnung bedurften. Doch waren dafür die zwischenmenschlichen Beziehungen etwas komplizierter und ab und zu problematisch. Auf der anderen Seite konnte ich mit ihnen richtige Gespräche führen, was natürlich mit den kleinen nicht möglich gewesen war. In den 3 Monaten in Little Smile ist es mir wirklich zu einem Zuhause geworden - besonders bei meiner Rückkehr von drei Tagen Strandurlaub, ist mir das bewusst geworden. Waschmaschinen, warmes Wasser, Besteck oder Klopapier, tun für dieses Gefühl nichts zur Sache, genauso wenig ob nun Bananenstauden und Kokusnusspalmen um einen herum wuchern oder Eichen und Buchen. Man gewöhnt sich schnell an all diese Veränderungen und es ist absolute Normalität und nichts Exotisches mehr. Mir wurde durch meinen Aufenthalt in Little Smile etwas bewusster, was wirklich Leben ausmacht, was für Privilegien ich durch meine, bei allen Fehlern im deutschen Bildungswesen, gute Schulbildung und eine intakte Familie doch habe und was an dem vielleicht langweilig scheinenden Deutschland doch zu schätzen ist. Fließend Wasser und Strom rund um die Uhr und was weiß ich was für einen technischen Schnickschnack, der das Leben einfacher macht und die zeitraubenden Dinge wie Wäsche waschen für einen erledigt, sind keine Selbstverständlichkeiten, genauso wenig wie ein Supermarkt, in dem man alles was das Herz begehrt zu jeder Jahreszeit und beinahe unbegrenzt besorgen kann. Ab und an bin ich auch an die Grenzen meiner Geduld gekommen und war erstaunt wie ruppig ich dann doch bin - manchmal ohne wirklichen Grund. Auch war ich entsetzt wie schnell ich mich an das hierarchische System ( Ältere vor Jüngere) dass in Little Smile, genauso wie in ganz Sri Lanka herrscht, gewöhnte und Privilegien, nur Kleinigkeiten wie eine volle Tasse Milchtee, wurden selbstverständlich. Am Anfang fand ich diese Ungleichbehandlung höchst ungerecht, doch auch das wurde vollkommen normal. Little Smile ist ein besonderer Ort, vor allem ein besonderer Ort in Sri Lanka. Es ist eine andere Welt und Sri Lanka habe ich nur in den Aufenthalten in Koslanda, in diversen Krankenhäusern oder auf den Trips zu anderen Projekten oder bestimmten Feierlichkeiten kennen gelernt, auf die mich Herr Kreitmeir mitgenommen hat. Ich werde es vermissen, mit allen Menschen die dort leben und alles darum herum- ja, selbst das allmorgendliche Geplärre der immer gleichen Lieder aus den kaputten Radioboxen... |