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Auszüge aus dem Bericht von Anka, die ihr Volontariat vom 03.09.2006 bis zum 03.03.2007 im Kinderdorf Little Smile Koslanda leistete:
Wie gestern kommt es mir vor, dass ich an einem stillen Ort, ganz für mich, nach einem etwas unerwarteten Telefongespräch und einer Zusage, mit der ich nicht mehr gerechnet hätte, die Entscheidung getroffen habe, ein halbes Jahr in Sri Lanka zu leben. Jetzt weiß ich, dass es die beste, selbständigste und wichtigste Entscheidung meines bisherigen Lebens war. Ich bereue keine Sekunde, die ich hier verbracht habe und möchte keine der Erfahrungen, die ich gemacht habe, missen.

Die ersten vier Wochen habe ich als einzige Deutsche unter Einheimischen verbracht. Zunächst war ich erst einmal sehr damit beschäftigt, mich an den Lebensstil anzupassen und mich an den niedrigeren Lebensstandard zu gewöhnen. In Deutschland hätte ich nicht gedacht, dass dies so schwer ist und doch so viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Die entscheidende Schwierigkeit war natürlich, dass ich niemanden um mich hatte, mit dem ich mich über solche Fragen einmal austauschen hätte können, trotzdem hat es genau das spannend gemacht. Man hat sich in dieser Zeit rührend um mich gekümmert, aber jemand der schon immer in diesem Land lebt, kann eben gar nicht nachvollziehen, was ich alles nicht wissen kann. Außerdem tun sich die Leute hier ein bisschen schwer jemandem etwas zu erklären oder zu zeigen. Nie hat mir z.B. jemand erklärt wie man richtig mit den Fingern isst, ich konnte nur zuschauen, man hat über mich geschmunzelt und mir mit Sätzen wie “in Germany you don’t eat with fingers, or?” signalisiert, dass ich mich wohl sehr ungeschickt anstelle.

In dieser Zeit haben mir die Lucky-Haus-Mädchen, das sind die älteren Mädchen in Little Smile zwischen 13 und 17 Jahren, sehr geholfen mich einzufinden, wohingegen alle einheimischen Betreuerinnen (ausgenommen Bawani) zunächst eine natürliche Distanz gewahrt haben.
Das Schwierige am Lucky-Haus war jedoch, dass man dort als Betreuerinnen (Matron) eine strenge und führende Hand braucht und Aufgaben, die man auch als Deutsche, ohne Kenntnis über den Tagesablauf in Little Smile übernehmen kann (z.B. den Kindern beim anziehen, waschen, Haare kämmen helfen), dort nicht existieren, da die Mädchen schon sehr selbständig sind. Doch wie konnte ich in der Anfangszeit, wo ich weder über den Stundenplan, noch über die Pflichten der Kinder Bescheid wusste und selbst vieles lernen musste, dort hart genug durchgreifen.
Ich glaube letztendlich spielt auch das eine Rolle, dass mir dann drei Monate später die Autorität verloren ging und es mir unmöglich war im Lucky-Haus etwas zu bewirken. Denn wie kann ein 16-jaehriges Mädchen jemanden respektieren, dem es das Essen, Wäsche waschen, oder sogar verschiedene Verhaltensweisen zeigen musste?
In meinen ersten vier Wochen war ich also hauptsächlich damit beschäftigt, mich von der 19-jaehrigen Deutschen zur Fast-Einheimischen-Erwachsenen zu verändern.
Schon am ersten Tag nach der Ankunft von Michael Kreitmeir im Kinderdorf, hat er mir das erste Mal die Augen geöffnet. Ich habe in der Zeit alleine hier ein bisschen aufgehört in den deutschen Maßstäben und der Sauberkeit zu denken. Gewohnheiten, die in Deutschland undenkbar wären (z.B. beim Essen auf den Boden zu spucken oder das Bad beim Putzen einfach nur zu fluten), habe ich als Kulturunterschied abgestempelt und schon nach dieser kurzen Zeit fast nicht mehr als falsch empfunden. Erst durch Herrn Kreitmeir wurde mit sehr klar gemacht, dass dies nichts mit Kulturunterschied sondern mit Faulheit oder fehlenden Manieren zu tun hat. Ich weiß bis heute nicht, wie ich vier Wochen lang so blind sein konnte.
Ich bin mit meinem vollen Herzen hier angekommen und Little Smile ist für mich ein Zuhause geworden. Während meiner Lucky-Haus-Zeit war es schön, dass ich einen sehr persönlichen Kontakt zu Matrons und Kindern aufbauen konnte und viele sehr intensive Gespräche mit diesen geführt habe.
Im Nachhinein weiß ich jedoch, dass so eine Beziehung zu den Kindern in Sri Lanka nicht wirklich funktionieren kann. Damals dachte ich noch, dass es vielleicht möglich sein könnte, einige ganz besondere Freundschaften zwischen zwei Kulturen aufzubauen. Genau am 30.10.06 habe ich gelernt was Kulturunterschied bedeutet und wie schwierig es ist damit umzugehen. Nachdem ich einen Streit zwischen Bawani und Shanthi schlichten sollte, kam es zum Desaster und ich war auf einmal die Schuldige und ganz alleine. Die zwei größten Bezugspersonen waren weg und ich wusste nicht einmal genau warum. Das große Problem war, dass von allen Matrons ein Gespräch mit Michael Kreitmeir als “sie verpfeift mich” angesehen wird und ich so wirklich ohne eine Menschenseele dastand, der ich mich anvertrauen konnte. Ich wusste nicht mehr, wem ich glauben kann, wer die Wahrheit sagt oder einfach nur warum das Alles passiert. Erst nach dem ich mich zu einem Gespräch mit Herrn Kreitmeir durchgerungen habe, kam für mich Licht ins Dunkel. Jetzt im Nachhinein kann ich sagen, dass das die schmerzhafteste Erfahrung in diesen 6 Monaten war, aber auch die, aus der ich am meisten gelernt habe und die mich unglaublich stark gemacht hat.

Arbeit mit den älteren Jungs zwischen 11 und 16 Jahren:
Am 19. Januar 2007 bin ich ins Rainbow-House umgezogen. Es war ein Unterschied wie er größer nicht hätte sein können. Die Jungs können alles alleine und hören auf das, was man sagt. Es war auch schön für mich wieder mit Shanthi zusammenzuarbeiten, da ich ihre Schwächen und Stärken schon kannte und wir durch die Zeit im Lucky Haus schon ein eingespieltes Team waren. Außerdem war Shanthi für mich zum Mutterersatz geworden und somit habe ich die Zeit mit ihr sehr genossen. Im Rainbow-Haus gab es wirklich keine großen Probleme.
Auf die Sauberkeit muss ein bisschen mehr geachtet werden, als bei den Mädchen und Kumar, unseren Jüngsten, muss man eben in Allem kontrollieren, aber sonst wäre ja eine Matron im Rainbow-Haus überflüssig. Der Höhepunkt im Haus war für mich mein Geburtstag, mit einer wirklich sehr schönen Feier, auch wenn das im Nachhinein einen etwas negativen Beigeschmack hat, da sich einige Matrons gekränkt gefühlt haben, weil ich alles mit den beiden anderen Volontärinnen Julia, Patrizia und den Jungs geplant und organisiert habe und sie sich ausgeschlossen gefühlt hatten.

Arbeit mit den älteren Mädchen zwischen 14 und 17 Jahren:
Zuerst fand ich es sehr schade, dass meine Zeit im Rainbow-House gerade dann beendet war, als ich mich richtig eingelebt hatte, aber im Sunshine-Haus hatte ich dafür wieder eine echte Herausforderung. Alle Erfahrungen, die ich während der Zeit in Little Smile gemacht habe, könnte man als Training für das letzte Haus bezeichnen, denn ich habe gemerkt, dass ich ohne die vorher gemachten Erfahrungen im Sunshine-Haus niemals zurechtgekommen wäre.
Die ersten Tage hatte ich fast andauernd Streit mit den Mädchen, da ich keine Einzige Missachtung des Stundenplans oder der Pflichten akzeptiert habe. Diese Streitigkeiten hatten zur Folge, dass ich sehr unbeliebt war und in meiner Anwesenheit viel auf Sinhala über mich gelästert wurde. Allgemein wurde die Sprache in diesem Haus oft als Kampfmittel benutzt, bis zum Tag an dem ich, mit Erlaubnis von ganz Oben, das Haus
“English-speaking” gemacht habe. Die kleine Zurechtweisung von Herrn Kreitmeir an die Mädchen hat beinahe Wunder gewirkt und plötzlich wurde auf mich ohne große Diskussion gehört. Die vier großen Mädchen im Haus haben sich sehr positiv verändert und waren dann sogar die, die mich in der Arbeit mit den jüngeren unterstützen, auf Regeln hinweisen oder extra Aufgaben übernahmen. Trotzdem fehlt dem Haus immer noch eine Führungsgestalt, da diese vier Mädchen auch zu ihrer Zeit im Lucky-Haus nie eine führende Rolle übernommen haben und das nun im Sunshine-Haus auch nicht tun. Der nächste Schritt im Haus müsste jetzt die Selbständigkeit sein, so dass auch ohne ständige Kontrolle das erledigt wird, was notwendig ist. Diesen Schritt muss ich jedoch leider an eine andere Matron abgeben.

Für mich ist es gerade jetzt schwierig Little Smile zu verlassen, da ich gerne eine Arbeit vollenden würde (auch wenn das wohl bei der Arbeit mit Kindern unmöglich ist) und schon das Gefühl habe, dass man im Sunshine-Haus noch Vieles positiv verändern kann.

Schwierigkeiten gab es eigentlich ständig und ein Problem ist für Volontäre immer präsent: Es gibt zwei Möglichkeiten in Little Smile zu arbeiten: Entweder man verhält sich wie die einheimischen Matrons, redet nicht über Probleme und macht es Little Smile nicht gerade einfacher, dann wird man von jedem gemocht, nett behandelt und umsorgt. Oder man redet offen über Probleme und Schwierigkeiten, dann bekommt man den Ruf eines Spions, es wird über einen gelästert und einem nicht gerade einfach gemacht weiter zu machen, schon nur weil ein Streit mit einer Matron böses Gerede von allen Seiten mit sich bringt. Leider hatte ich bis zum Schluss nie das Gefühl für eine gute Mischung und bin immer wieder sehr angeeckt. Was mir auch sehr schwer gefallen ist, ist, dass den Menschen hier Lügen, Streit und Neid leichter fällt und anscheinend mehr Spaß macht, als glücklich zu sein und in einem starken Team zu arbeiten. Aber das kann wohl kein Deutscher auch nur annähernd verstehen. Ich habe wirklich ständig versucht alles richtig zu machen und über mein Verhalten lieber zwei mal nachgedacht, trotzdem konnte man mir immer wieder Boshaftigkeiten in mein Verhalten hineininterpretieren.
Schöne Momente gab es natürlich viele und ich kann hier nur einen Auszug aus dem geben, was wirklich beeindruckend war.
Besonders schön war es für mich, jeden Abend die Kinder ins Bett zu bringen, denn wenn sie da so friedlich da lagen, konnte ich die Schwierigkeiten vergessen, habe gemerkt, wie gern ich sie alle habe und konnte am nächsten Tag wieder von Neuem beginnen. Sehr speziell war für mich auch das Singen mit den Kindern an Weihnachten, ob das Üben im Voraus oder in der heiligen Nacht vor der Kirche, es war einfach wunderschön und ich werde wohl von nun an jedes Weihnachten Ashas Stimme und ihren Akzent im Lied “Ihr Kinderlein koomet” hören und an Little Smile zurückdenken.
Nur wer sich freuen kann ist auch in der Lage, Freude zu schenken. Auch bei der Arbeit lachen! Anka, Julia und Patrizia haben sichtlich vergnügen beim Waschen unseres Kleinbusses.
Der schönste Ausflug für mich war, als ich mit Anton, Shiran und den Rainbow-Jungs nach Kandy gefahren bin. Das Schöne daran waren gar nicht unbedingt die Dinge, die wir gesehen haben (obwohl der botanische Garten und der Theaterwettbewerb beeindruckend waren), sondern viel mehr, dass wir als eine große Familie dorthin gefahren sind. Obwohl ich die einzige Deutsche war und nicht immer alles verstanden habe, habe ich dazugehört. Mit so einer großen Familie wegzufahren und im botanischen Garten fangen zu spielen, konnte ich vorher nie so erleben, da ich ja als Einzelkind aufgewachsen bin. Ich könnte diese Liste nun unendlich fortführen, sei es jeder einzelne Besuch auf Heavens Door (vor allem zum Sonnenaufgang), die tamilische Hochzeit, die Fahrt mit Herrn Kreitmeir an die Ostküste, wo ja Bürgerkrieg herrscht oder das tamilische Deepawali-Festival.
So bleibt mir nun nur noch DANKE zu sagen für eine tolle, erfahrungsreiche und einfach unglaubliche Zeit, die mir hier ermöglicht wurde und während der mich Herr Kreitmeir sehr unterstützt hat. Ich hoffe, dass ich, obwohl ich wohl mehr mitnehme als ich geben konnte, doch etwas hierlassen habe. Ich werde Little Smile nicht vergessen und die Erfahrungen und was ich gelernt habe in mir tragen und versuchen weiterzugeben.

Anka